Ausgaben
Inhalt
- Kerstin Steinbach
Beiträge zur Psychopathologie des modernen Alltagslebens
3. Die Genitalrasur - Peter Priskil
Zur Psychogenese einer Zwangsvorstellung - Fritz Erik Hoevels
Maccobys Theorie des Menschenopfers und des Antisemitismus - Miszellen
- Beispiel einer Reaktionsbildung (Miriam Daré)
- Eine Traumverdichtung voller infantiler Wunscherfüllungen (Simone Reißner)
- Ein rätselhafter Traumname (Peter Priskil)
- Böse bis in den Tod ... (Angela Virjat)
- Rezensionen
- Elisabeth Roudinesco und Michel Plon: Wörterbuch der Psychoanalyse.
Namen, Länder, Werke, Begriffe (Peter Priskil) - Mark Solms/Oliver Turnbull: Das Gehirn und die innere Welt.
Neurowissenschaft und Psychoanalyse (Simone Reißner)
- Elisabeth Roudinesco und Michel Plon: Wörterbuch der Psychoanalyse.
Kerstin Steinbach
Zur Psychopathologie des modernen Alltagslebens –
Teil 3: Die Genitalrasur
Abstract:
Der Aufsatz untersucht die seit etwa 15 Jahren insbesondere bei Jugendlichen mit zunehmender Tendenz zu beobachtende Praxis der Selbstrasur des Genitales, welche von Jugendjournalen auffällige Förderung und Anleitung erfährt, die ihre Normalität und sogar vorgebliche (sexuelle) Freiheitlichkeit suggerieren. Zunächst werden sowohl gesellschaftliche als auch wesentliche, von den Erkenntnissen der Biologie nahe gelegte Aspekte dieser »Mode« diskutiert: die Beseitigung der sekundären Geschlechtsmerkmale stellt eine optische Infantilisierung dar, entledigt sich der/die Rasierende damit doch eines markanten, evolutionär selektierten sexuellen Reifemerkmals rsp. Schlüsselreizes. Die auf Befragen angegebenen Begründungen für das inzwischen massenhaft auftretende Verhalten werden exemplarisch besprochen und deren Rationalisierungscharakter vorgeführt, was die Frage nach den verborgenen, unbewußten Motiven zwingend aufwirft. Die Selbstrasur des Genitales kann auf der Grundlage der Freud´schen Erkenntnisse und der Untersuchungen Theodor Reiks zu den »Pubertätsriten der Wilden« als selbstaggressive, dem Ödipus- bzw. Kastrationskomplex entspringende Handlung aufgedeckt werden, wobei die eigenen, als bedroht wahrgenommenen sexuellen Wünsche durch die Rasur im Wortsinne abgeschnitten werden. Die Strafe für die verbotenen Wünsche wird also selbst symbolisch im Überich-Auftrag vollzogen, was eine gewisse subjektive Beruhigung vor weiterer Intervention von dieser Seite nach sich zieht und entsprechend ambivalente Empfindens- und Verhaltensweisen bedingt. Die Genitalrasur entspricht in milder Form der vom psychischen Gehalt her kastrationsäquivalenten Beschneidung. Dem befürchteten, antiödipalen Präventivschlag wird mit der Selbstrasur zum einen zuvor gekommen und zugleich – und entscheidend! – der drohend-autoritären Gewalt, welche im Kern den Verzicht auf die sexuelle Selbstbestimmung fordert, Folge geleistet. Das untersuchte Phänomen ist damit Ausdruck eines zunehmenden Identitätsverlustes zugunsten von Gehorsamsbereitschaft, also einer im Durchschnitt gestiegenen, bezeichnenderweise gesellschaftlich geförderten Ichschwäche.
Peter Priskil
Zur Psychogenese einer Zwangsvorstellung
Abstract:
Eine Serie von Zwangsvorstellungen und Zwangshandlungen steht im Mittelpunkt dieser Fallanalyse. Der Patient litt unter dem unabweisbaren Impuls, ihm nahestehende Personen zu beschimpfen; der Anblick von Messern und anderen Waffen löste unbestimmte Mordregungen aus. Die Anwendung der psychoanalytischen Grundregel – insbesondere die Analyse der mitgeteilten Träume erwies sich als äußerst aufschlußreich – ergab folgende Resultate: Die aggressiven Impulse galten ursprünglich dem Vater des Patienten, der von diesem als Kind jahrelang aufs schwerste körperlich mißhandelt wurde. In tieferer Schicht repräsentiert die Waffe den Penis des Knaben; die gewalttätigen Übergriffe des Vaters gipfeln in der Furcht des Kindes, des Genitales beraubt, kastriert zu werden – daher die Wertschätzung der Waffe als Mittel der Vergeltung sowie als symbolisches Surrogat des lustspendenden, aber bedrohten Genitales. Eine ins dritte Lebensjahr des Patienten fallende »Urszene«, die Belauschung respektive Beobachtung des elterlichen Koitus, konnte als Ausgangspunkt des ödipalen Konflikts und Ursprung der neurotischen Erkrankung eruiert werden. Die im Laufe der Therapie fortschreitende Aufdeckung der unbewußten Konflikte bewirkte das Schwinden der Zwangssymptome bei gleichzeitig wiederhergestellter Realitätstüchtigkeit und Genußfähigkeit (»orgastische Potenz« im Sinne Wilhelm Reichs) des Patienten.
Fritz Erik Hoevels
Maccobys Theorie des Menschenopfers und des Antisemitismus
Abstract:
Gemäß der Theorie des englischen Altphilologen Hyam Maccoby hat sich von neolithischer Zeit an die Tendenz entwickelt, in kritischen Situationen Menschenopfer zu vollziehen und das dabei entstehende Schuldgefühl auf eine dritte Person abzuwälzen, die er den »Heiligen Henker« nennt. Durch den christlichen Mythos von den metaphysischen Wirkungen und Hintergründen der Kreuzigung Jesu sind die Juden für die Christen zum kollektiven Heiligen Henker geworden, womit der Antisemitismus entstanden bzw. seine unverwechselbaren Züge erhielt.
Die Verschiebung der eigenen Schuld auf eine andere Person entspricht dem der Psychoanalyse wohlbekannten Mechanismus der Projektion; dadurch wird Maccobys historisch-funktionale Rekonstruktion zu einer ihrer zusätzlichen Bestätigungen. Allerdings ist der Drang, ein Menschenopfer zu vollziehen, seinerseits erklärungsbedürftig. Diese Opfer wird hier, anders als bei Freud, dessen berühmte Theorie nur auf das paläolithische Tieropfer paßt, vom Tod eines (oder mehrerer) Initianden bei den entsprechenden archaischen Riten abgeleitet; das durch diesen Stellvertretertod abgetragene Schuldgefühl ist somit das ödipale, das durch dessen Tötung entstandene nur sekundär. Projiziert werden beide; mit der Ablösung des Menschenopfers durch das Tieropfer überlagern und verflechten sich beide Stränge von Ritualhandlungen (Reinszenierung der Urvatertötung und Tod von Initianden), welche auf den ältesten, paläolithischen Stufen noch getrennt waren.
EUR 7,50
23. Jahrgang, Heft 1, Oktober 2005, 99 S., 1 Abb.
ISSN: 0724-7923
ISBN: 978-3-89484-708-1
(ISBN-10: 3-89484-708-5)