Ketzerbriefe 100

Jubiläumsausgabe: Die sogenannte Kultur

Fritz Erik Hoevels

April/Mai 2001



Inhalt

Fritz Erik Hoevels: Die sogenannte Kultur

»Ich definiere, wo immer ich das Wort ohne Verweise benutze, den Begriff "Kultur" als kollektiv standardisierte Kommunikation. Wer diese Definition übernimmt, entgeht dadurch mit einem Schlag dem Fliegenleim der Wertung – Verbrechen wie das Verbrennen von Hexen und Juden, zweifellos höchst integrierte Elemente der jahrtausendealten hochkomplexen europäischen Kultur, fallen auf diese Weise genauso darunter wie solch erfreuliche Techniken wie Lesen und Schreiben oder die richtige Zubereitung der Grünen Soße oder der Pekingente, von Malerei, Musik und Dichtkunst ganz zu schweigen. Auf dieser Basis lassen sich mit dem Amöbenwort weder Scheußlichkeiten rechtfertigen noch alle nur dem Genuß dienende Produktion verdammen; es bleibt ein präziser und neutraler Begriff wie Allel, Betastrahlung, Chlorophyll oder Diagonale. Und so wollen wir mit ihm arbeiten, um eine Folie gegen die Ideologie zu haben.«

Rezension aus "Neues Deutschland", 22.03.2001

Beilage zur Leipziger Buchmesse 2001

DIE SO GENANNTE KULTUR

Eine Polemik
Von Martina Härtwig

Die Familie, aus der er stammt, beschrieb er einmal als "gehoben kleinbürgerlich", "mäßig aufgeklärt/rechtsliberal", für die einst die KPD Haßobjekt Nr. 1 und Hitler Nr. 2 war. Das "Adenauer-Regime" war seinem Elternhaus wie "maßgeschneidert". Und er gesteht, dass er im Alter von elf Jahren sich verpflichtet fühlte, das Familienblatt, die "erzreaktionären FAZ", Apologetin eines "aggressiven Antikommunismus" zu lesen. "Ganz wohl fühlte ich mich dabei nicht." Schließlich brach er aus und auf.

In der 100. Ausgabe der "Ketzerbriefe", der vom Ahriman Verlag herausgegebenen "Flaschenpost für unangepaßte Gedanken", nimmt Fritz Erik Hoevels unsere "so genannte Kultur" unter die Lupe. Er definiert den Begriff Kultur als "kollektiv standardisierte Kommunikation", was er mit weltgeschichtlichen Beispielen zu begründen sucht. Auch hinterfragt er kritisch neue Erkenntnisse der evolutionsbiologischen und anthropologischen Forschung, z. B. das Meme-Konzept des Briten Richard Dawkins, den er vor dem „Gejaule der hobby-biologischen Sektenbeauftragten" in Schutz nimmt. Vor allem die FDGO, wie sie sich in der Realität nackt zeigt, die so genannte Staatskirche und der Ur-Typ des deutschen Professors sind ihm rote Tücher.
    In seiner Polemik gegen die Fetischisierung des Faktischen gelingen ihm teils brillante Gedankensplitter. Manche Ausdrucksweise überschreitet indes schon die Grenzen des guten Geschmacks. Fazit: Eine spannende und anregende, bisweilen aber anstrengende und verwirrende Lektüre.

Dr. Fritz Erik Hoevels studierte Psychologie, Altphilologie und Literaturwissenschaft in Frei­burg i. Br., wo er als niedergelassener Psycho­analytiker tätig war. 1983 trat er durch sein Buch »Marxismus, Psychoanalyse, Politik« her­vor, das einiges Aufsehen erregte. Näheres über seine öffentliche Tätigkeit, die ihn bis heute zu einer hochbesetzten Haßfigur der Kirchen, ihrer Trommler und Sympathisanten gemacht hat, findet sich in der historisch aufschlußreichen Dokumentensammlung »30 Jahre Ketzer«. Seine Untersuchung über den Beitrag Wilhelm Reichs zur Psychoanalyse – bevor dieser wohl fähigste Schüler Freuds unter dem Druck seiner vielen Verfolger geistig zusammenbrach – dürf­te als Standardwerk zum Thema gelten. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Anwendung der Psychoanalyse (Therapie, Literatur, kollek­tive Phantasien, besonders der Religion) sowie zu Zeitfragen. Hoevels ist ferner Begründer und Mitherausgeber der Zeitschrift »System ubw – Zeitschrift für klassische Psychoanalyse«. Er ist deutscher Herausgeber der wichtigsten Werke des englischen Althistorikers Hyam Maccoby (der nüchterner und treffender als jeder andere die Entstehung des Christentums enträtselte). Seine zwei Bände »Wie unrecht hatte Marx wirklich?« können in ihrer analytischen Tiefe und Schärfe als neue Maßstäbe setzendes Grundlagenwerk gelten.



EUR 4,50
ISSN: 0930-0503
ISBN: 978-3-89484-228-4
(ISBN-10: 3-89484-228-8)
April/Mai 2001

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