Ketzerbriefe 104

Dezember 2001/Januar 2002



Inhalt

  • Fritz Erik Hoevels: WTC-Attentat: wer war's?
  • Schon wieder: Germans to the Front!
    (Flugblatt vom November 2001)
  • Vera Sanning: Aktuelle Kopftuchpsychologie
  • Genitalverstümmelung in Deutschland
  • Zwangsscheidung von Nawal El Saadawi abgewehrt
  • Der Irak im Fadenkreuz der USA und ihrer willigen Vollstrecker
  • Peter Priskil: Von Verrätern und Verratenen
  • Ciprì und Meresco endlich freigesprochen!
  • Preisaufgabe
  • Susanne Sarial: Traduttore – Traditore!
    Zur neuen Übersetzung des »Herrn der Ringe«
  • Fritz Erik Hoevels: Gloße
  • Kurzmeldung: Neuer BSE-Test von den Medien verschwiegen
  • Rezension: Kurt Köpruner, Reisen in das Land des Krieges
  • Kurz und eklig

Traduttore - Traditore!

Zur neuen Übersetzung des »Herrn der Ringe«

von Susanne Sarial

Mit großem Brimborium (das zwar nicht ganz an die medienwirksame Harry-Potter-Manie heranreichte - aber dafür ist das Buch ja auch schon 50 Jahre alt) wurde dieses Jahr von Klett-Cotta die Tolkien-Trilogie Der Herr der Ringe neu herausgebracht; neu heißt in neuer Übersetzung, »endlich«, wie es in der Verlagswerbung heißt, als ob auch nur ein Mensch darauf gewartet hätte. Bemerkenswert ist an diesem Buch zunächst, daß es tatsächlich seit fast 50 Jahren in allen (zahlreichen) Sprachen, in denen es erschien, ein dauerhafter Bestseller wurde und daß es offenbar ganz zeitgeistunabhängig, heute wie vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren unter Jugendlichen als absolutes Kultbuch gehandelt wurde und wird. Zur Frage, was die Faszination dieses Buches ausmacht, seien hier nur ein paar allgemeine Dinge gesagt; um sie wirklich zu begreifen, muß man in etwas tieferen Schichten des Verdrängten suchen, die nur durch die Psychoanalyse zugänglich sind; dem neugierigen Leser sei hier die nächste Nummer des System ubw empfohlen (erscheint voraussichtlich 2002: Susanne Sarial, Der Zauber des Rings - zu J.R.R. Tolkiens Herr der Ringe, System ubw. Zeitschrift für klassische Psychoanalyse, Ahriman-Verlag). Der Herr der Ringe ist, könnte man sagen, ein zu groß geratenes Märchen oder eine zu klein geratene Religion - das besondere der Trilogie ist, daß Tolkien eine ganze, in sich geschlossene Mythologie geschaffen hat, in die sich der Leser wie in eine eigene Welt begibt. Es gibt in dieser Welt Zauberer und Elben, übernatürliche Kräfte und märchenhafte Lebensspannen, aber gleichzeitig ist die Konstruktion so menschennah, daß sich der Leser mühelos als Teil dieser Welt empfinden kann. Daran knüpft sich, daß sich das Buch vorzüglich dazu eignet, der realen Welt zu entfliehen und sich wenigstens das zu phantasieren, was man in der Wirklichkeit so bitter vermißt: an allererster Stelle dürfte hier das Verlangen nach echten Freunden und Verbündeten stehen, denen man sich im Herrn der Ringe in Gestalt der »Gefährten«, der »Gemeinschaft des Rings« anschließen kann. Kurz gesagt ist der Inhalt des Buches der Kampf gegen »das Böse«, das natürlich unterliegt, gegen das die Helden mutig und zielstrebig zusammenhalten und gegen das sie Würde und Kampfesgeist aufbieten (übrigens Eigenschaften, die jedem, der ein Ziel verfolgt, nur gefallen können, die aber genau aus diesem Grund heute etwas »Anrüchiges« haben - aber die Tatsache, daß man eine Schätzung solcher Eigenschaften wie Ehre oder Würde heute nur noch bei sich selbst als »rechts« Bezeichnenden findet, heißt noch lange nicht, daß diese Eigenschaften auch selber rechts wären, sondern ist nur ein Zeichen für die Verkommenheit der »Linken«). Jedenfalls kann man sich in dem Wunsch, die Kräfte der Finsternis (die oft genug allzu bekannte familiäre Züge tragen) zu bekämpfen und dabei derart zuverlässige Genossen zu haben, nur wiederfinden, und der anziehendste Zug der Geschichte ist die ganz im Gegensatz zu Märchen oder Religionen ausbleibende Moral oder Strafandrohung, was freilich selbst in der Phantasie nur unter der Bedingung vorkommen darf, daß die Sexualität keinerlei Platz in dieser Mythologie hat - warum das so ist, habe ich an anderer Stelle ausgeführt. Aber alles in allem kann man sagen: ein schönes »Märchen«, tausendmal schöner jedenfalls als der boshafte, erniedrigende Alltag, geeignet, sich wenigstens innerlich einen Rückzugspunkt zu schaffen und wenigstens ein winziges Stückchen Unabhängigkeit von den Zumutungen der realen Welt zu empfinden.

- Warum aber nun erschien eine neue Übersetzung, und was ist ihre Wirkung? . . .

Neugierig geworden? ...

EUR 4,50
ISSN: 0930-0503
Dezember 2001/Januar 2002

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