System ubw 1/2007

25. Jahrgang, Heft 1, Oktober 2007, 86 S., 3 Abb., 1 Faks.



Inhalt

  • Simone Reißner
    Über Oscar Wilde – Eine psychoanalytische Betrachtung
  • Peter Priskil
    Ein infantiles Sexualtrauma
  • Miriam Daré
    »Brokeback Mountain« – Der Film und das literarische Original
  • Miszellen
    • »Probieren geht über studieren!« –
      Ein Erfahrungsbericht aus dem Psychologiestudium (Jens Harnack)
    • Zur Geschlechtervorstellung eines Knaben (Karin Meitner)

Simone Reißner
Über Oscar Wilde – Eine psychoanalytische Betrachtung

Abstract:

Trotz der vielseitigen Rezeption der Gesammelten Werke Oscar Wildes blieben aus psychoanalytischer Sicht entscheidende Aspekte bisher unberücksichtigt: Die Autorin weist nach, daß bei der Person Wilde keine unbewußte masochistische Charakterstruktur zugrundelag, was sehr häufig und vorschnell von Mitgliedern der IpsaV behauptet wurde. Das Gesamtwerk Wildes wird weiterhin nach primärnarzißtischen Motiven untersucht, der Roman Dorian Gray wird hinsichtlich seines ödipalen Gehalts und seinen individuellen Folgen dechiffriert.
Die Kernthese des Aufsatzes lautet, daß sich Oscar Wilde aufgrund der Enttäuschung vor dem Objekt selbst mit diesem identifizierte und dadurch in Gestalt seiner eigenen Person den weitverbreiteten unbewußten Wunsch nach der Existenz einer phallischen Frau phantastisch verarbeitet erfüllte, was in entscheidender Weise zur Faszination, die durch seine Person hervorgerufen wird, beiträgt.

 


Peter Priskil
Ein infantiles Sexualtrauma

Abstract:

Diese Fallschilderung handelt von einer Frau in fortgeschrittenem Alter, die in ihrer Kindheit einem – letztlich harmlosen – sexuellen Übergriff von Seiten eines erwachsenen Mannes ausgesetzt war. Aufgrund einer neueren Lebenskrise traten mehrere neurotische Symptome auf (partielle Gehunfähigkeit, Fühllosigkeit in der inneren Mundregion, Schwindel sowie zwanghafte Sicherheitsvorkehrungen auf der Grundlage einer AIDS-Phobie), die einen unbewußten Zusammenhang mit der infantilen Verführungssituation aufwiesen. Von besonderer Bedeutung für den Therapieverlauf war ein komplexer Traum, ein sogenannter "Programm-" oder "biographischer Traum" (Sigmund Freud), der als eine Zusammenfassungen sowohl der Lebensgeschichte der Patientin als auch des Therapieverlaufs angesehen werden kann. Die infantile Verführung wirkte traumatogen, weil sie unbewußt mit der sexuellen Neugier des Kindes in dieser Situation verknüpft war; späterhin wurde der Impuls nach eigener sexueller Betätigung aufgrund der Kastrationsangst verdrängt. Wie Karl Abraham ausführte, ist das Alter des Neurotikers weniger ausschlaggebend für den Erfolg der Therapie als das Alter der Neurose. Die Symptome verschwanden in dem Maße, wie ihr der Zusammenhang mit dem Wunsch des Kindes nach aktiver sexueller Betätigung aufgedeckt wurde. Die AIDS-Phobie jedoch persistierte, weil die staatlich organisierte Propaganda, die auf "sexuelles Roulett" und Masseninfektion abzielt, immer wieder von neuem die unbewußte Kastrationsangst aktiviert.

 


Miriam Daré
Brokeback Mountain – Der Film und das literarische Original

Abstract:

Der Film Brokeback Mountain hat Millionen von Zuschauern begeistert. Der Grund hiefür liegt im Kern der erzählten Handlung: zwei Männer, die sich in der McCarthy-Ära kennenlernen, sind trotz den herrschenden Moralvorstellungen und staatlichen Gesetzen durch ihre gegenseitige körperliche Zuneigung ein Leben lang miteinander verbunden. Ihre sexuelle Selbstbestimmung bildet ein Bollwerk gegen die Vereinsamung, für die Autonomie beider Protagonisten. Dabei verläuft ihr Leben nicht ohne Brüche, welche nur durch einen vergleichenden Blick auf das literarische Original, der short story Brokeback Mountain von Annie Proulx, verständlich werden. Anhand einer Schlüsselszene, die der Film nicht beinhaltet, kann mittels der Ambivalenz und vor allem mittels dem psychischen Mechanismus` des Schuldgefühls das verwunderlich anmutende Verhalten eines der Hauptpersonen verständlich gemacht werden. Der Hauptpunkt liegt dabei in einer erlebten Kastrationsdrohung, welche durch die unbewußte Gleichsetzung von Beschneidung und Kastration als bereits vollzogene Kastration empfunden wird. Im vorliegenden Fall ergab sich dadurch eine Verlötung von sexuellen Wünschen und Strafangst, die die Schwankungen der Person zwischen Selbstbestimmung und Anhänglichkeit an die Familie verständlich macht.

 

EUR 7,50
25. Jahrgang, Heft 1, Oktober 2007, 86 S., 3 Abb., 1 Faks.

ISSN: 0724-7923
ISBN: 978-3-89484-710-4

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