System ubw 1/2008

26. Jahrgang, Heft 1, November 2008, 84 S., 1 Abb.



Inhalt

  • Peter Priskil
    Eine Onanie-Phantasie bei Balzac
  • Simone Reißner
    Von der »Archäologie« zur »Architektur« –
    ein Lehrstück von der Zerstörung der Psychoanalyse
  • Viktor Kartin
    Vogelscheuchen und Vegetationsdämonen
  • Karin Meitner
    Das Geheimnis von Harry Potter

Peter Priskil
Eine Onanie-Phantasie bei Balzac

Abstract:

Die immense Produktivität des Schriftstellers Honoré de Balzac (1799-1850) diente, seinen eigenen Aussagen zufolge, dem Erwerb von »Liebe und Ruhm« – jenen zwei Elementen, die Freud als konstitutiv für eine alltägliche Phantasiebetätigung, den »Tagtraum«, erkannt hatte. Diese einfache Phantasie, zugleich Keimform der literarischen Produktivität, weist zwei Eigenheiten des frühinfantilen Denkens auf: Allmacht des phantasierenden Subjekts und magisches Denken (Gleichsetzung der innerpsychischen Wahrnehmung eines Wunsches mit der Realisierung = »Lustprinzip«).Das »Chagrinleder«, jenes ominöse Objekt in Balzacs gleichnamigen Roman, sichert seinem Besitzer jene Allmacht und gewährt ihm die sofortige Erfüllung eines jeden (sexuellen, ehrgeizigen) Wunsches. Es ist zugleich die symbolische Repräsentation des Penis (es schrumpft nach jeder Wunscherfüllung). Die Analyse des Romans erweist, daß der Gebrauch des »Chagrinleders« unbewußt dem onanistischen Akt mit begleitender Phantasiebetätigung entspricht, die auf den sexuellen Besitz der Mutter (Inzest) und auf die Beseitigung des väterlichen ödipalen Rivalen abzielt. Das »Chagrinleder« enthält ferner den Niederschlag des elterlichen Onanieverbots, das in der Strafphantasie kulminiert, am Genitale Schaden zu erleiden (Kastrationsangst) resp. wegen Onanie und Inzestwunsch sterben zu müssen. Aufgrund der Strafangst erfolgt die Regression auf die anale Stufe; an die Stelle der Libido tritt das Interesse am Geld (Kot). Sparsamkeit und Verschwendung, sexuelle Askese und »Ausschweifungen« kennzeichnen das Leben Balzacs wie das Schicksal seiner Romanprotagonisten.


Simone Reißner

Von der »Archäologie« zur »Architektur« – ein Lehrstück von der Zerstörung der Psychoanalyse

Abstract:

Der vorliegende Aufsatz befaßt sich mit den gegenwärtigen Mechanismen von Verstümmelungstechniken der Inhalte der klassischen Psychoanalyse von heutigen offiziellen Vertretern der Lehre. Die Vorgehensweise wird anhand von Lexikonbeiträgen illustriert, welche sich mit den »Zielen der Psychoanalyse« befassen. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf die kunstvolle Zweideutigkeit gerichtet, deren ideologische Auflösung letztlich in einer »Anpassungsleistung an die Umwelt« statt in einer Erhöhung der Freiheitsgrade des Individuums besteht. Weiterhin wird ein Beitrag zum Thema von Bernhard Strauß »Therapieziele in der psychoanalytischen Therapie« analysiert. Strauß möchte die Freud´sche Archäologie-Metapher durch eine Architekturmetapher ersetzen, die ideologische Bedeutsamkeit dieses »Ansinnens« wird ebenfalls erläutert.


Viktor Kartin

Vogelscheuchen und Vegetationsdämonen

Abstract:

Wie die Psychoanalyse erweist, haben die ambivalenten Züge der Vogelscheuchen, wie sie v.a. im Volksglauben, in Erzählungen und Filmen dargestellt werden, ihre Wurzeln im magischen Denken, demzufolge diese Effigien als unheimliche Doppelgänger und letztlich auch klassische Sündenböcke die verdrängten ödipalen Wünsche und zugleich auch deren kronide elterliche Verfolger verkörpern. Vegetationsdämonen und Korngeister (z.B. die deutsche Roggenmuhme oder Roggenmutter) sind als bösartige Verfolger und Kinderschreck-Figuren die phantasierten Stellvertreter der rachsüchtigen Eltern, entsprechende Erntebräuche und landwirtschaftliche Riten die Abkömmlinge des infantilen Konflikts zwischen Inzestwunsch und Kastrationsangst. In der kindlichen Vorstellungswelt sind Vegetationsdämonen und Vogelscheuchen weitgehend identisch.


Karin Meitner

Das Geheimnis von Harry Potter

Abstract:

400 Millionen verkaufte Exemplare, Übersetzungen in 67 Sprachen auf der einen Seite und wutschnaubende Inquisitoren auf der anderen zeugen von der erstaunlichen Faszination Joanne K. Rowlings Harry Potter – Heptalogie. Es wurde die Wirkung der geschilderten Familiensituation psychoanalytisch untersucht. Dabei ist die Öffnung der familiären Gefängnistür hervorzuheben. Außerdem hat die Darstellung der Wehrhaftigkeit in einer Schwächesituation (der Kindheit) unter dem Prinzip der Allmacht der Gedanken, d.h. zaubern zu können, eine außerordentliche Attraktion. Der unbewusste ödipale Wunsch der Vatertötung wird durch die Figur des Harry Potters vollzogen. Die Realisierung unbewusster Wünsche unter dem Deckmantel des Erlaubten besitzt eine Anziehungskraft, wie sie nur unbewussten Vorgängen zu eigen ist. Rowling führt uns über die sieben Bände durch den an Heftigkeit zunehmenden Konflikt zwischen den Kindern und den Erwachsenen, den hier allerdings die Kinder gewinnen.

EUR 7,50
26. Jahrgang, Heft 1, November 2008, 84 S., 1 Abb.

ISSN: 0724-7923
ISBN: 978-3-89484-712-8

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