System ubw 2/2007

25. Jahrgang, Heft 2, November 2007, 104 S., 7 Abb.



Inhalt

  • Kerstin Steinbach
    Der »friedliche« Buddhismus und seine »bösen« Götter – die Dharmapalas
  • Fritz Erik Hoevels
    Penisneid, Kastrationskomplex, Gesellschaft
  • Viktor Kartin
    Die magische Waffe des Affenkönigs Sun Wukong
  • Peter Priskil
    Die Träume in Joris-Karl Huysmans' Roman En Rade
  • Miszellen
    • Krenkakralla Kretzekratz
    • Eine noch nicht beschriebene Widerstandsform aus der Analyse (Simone Reißner)
    • Bericht und Hinweis

Kerstin Steinbach
Der »friedliche« Buddhismus und seine »bösen« Götter – die Dharmapalas

Abstract:

Der Beitrag bestätigt am Beispiel des im tibetischen Raum verbreiteten Tantrayana-Buddhismus die zentrale Entdeckung Sigmund Freuds, daß der Ödipuskomplex obligates Fundament der Religion ist. Im Zentrum der Betrachtung stehen die furchteinflößenden Krodha-Götter (Dharmapalas), deren Ikonographie den Nachweis des Kastrationskomplexes als Quelle und Gestaltungsschwerpunkt erlaubt. Eine gesonderte Betrachtung ist der einzigen weiblichen Krodha-Gottheit, Devi Lhamo, gewidmet. Die Analyse ihrer Darstellung zeigt eine bemerkenswerte Parallele zur antiken Medusenhaupt-Ikonographie. Der unbewußte Gehalt beider entspringt der für den Knaben entsetzlichen Entdeckung der Penislosigkeit der Frau. Diese wird auf der Grundlage der mit dem Ödipuskomplex verlöteten Kastrationsangst als Kastrationsergebnis, die weibliche Geschlechtöffnung als Kastrationswunde, das heißt als Strafe für verbotene sexuelle Wünsche oder Handlungen wahrgenommen und aktiviert so die Ängste bezüglich der eigenen Person. Die Darstellungen verarbeiteten jeweils Elemente antiödipaler Drohung, enthalten aber auch solche der Drohungsabwehr bzw. ödipalen Selbstbehauptung. Letztere finden insbesondere in den Bildprogrammen der Gläubigen recht ausschweifende Darstellung. Damit bleibt sich der Buddhismus seiner im Vergleich zur abrahamitischen Konkurrenz menschenfreundlicheren (nicht menschenfreundlichen) Tendenz treu, was auf den historisch tradierten Schwächestatus dieser Religion zurückzuführen ist.


 

Fritz Erik Hoevels
Penisneid, Kastrationskomplex, Gesellschaft

Abstract:

Ausgehend von Frans de Waals Feststellung, daß alle menschlichen Gesellschaften jene primatentypischen Geschlechtsunterschiede des Empfindens und Verhaltens, welche die evolutionäre Analyse erwarten läßt, ausnahmslos zu festigen, bis ins extreme zu steigern, aber niemals zu bekämpfen suchen (was sie z.B. mit der im Genom mindestens ebenso fest verankerten Abneigung gegen zusammenhängende Arbeit sich dagegen nie zu tun scheuen), wird die Frage aufgeworden, ob die in diesem Zusammenhang lange Zeit von vielen nützlich erachtete Theorie Freuds über "Penisneid und "Kastrationskomplex" nicht inzwischen überflüssig geworden sind. Das Gegenteil kann gezeigt werden: sie ergänzen einander in unverzichtbarer Weise, wobei die Biologie ein tieferes Verständnis der einschlägigen Funde Freuds ermöglicht, als dies zu seiner Zeit möglich war, während diese bei der Konzeption eines erfolgversprechenden Instrumentariums zur Bekämpfung der Geschlechtsrollen, jener vielleicht, besonders wegen des evolutionär begünstigten weiblichen Parasitismus, ergiebigsten Leidensquelle der ganzen Menschheit unabhängig vom Geschlecht, einen erheblichen Nutzen entfalten kann, der der biologischen Kenntnis alleine nicht abzugewinnen wäre. Freilich werden die Träger gegenwärtiger wie verflossener Macht diese "kompensatorische Erziehung" (z.B. gegen den weiblichen Parasitismus statt zu dessen Ausweitung; für lückenlose tit-for-tat-Konsequenz statt Aufweichung der bedingten Kooperativität zugunsten Ranghöherer usw.) aus eigennützigen Gründen nicht fördern, sondern stören.
Die alte Theorie von der "Schwäche des weiblichen "Überichs" erfährt ihre Korrektur; das Resultat erweist sich dabei als mit den evolutionstheoretischen Erwägungen voll kompatibel.


Viktor Kartin
Die magische Waffe des Affenkönigs Sun Wukong

Abstract:

Die Legende vom chinesischen Affenkönig Sun Wukong (der Hauptfigur des klassischen chinesischen Romans "Die Reise nach dem Westen") fasziniert durch märchentypische ödipale Wunscherfüllung: Bruch des Inzesttabus und Tötung bzw. Kastration des durch Götter und Dämonen verkörperten väterlichen Rivalen und infolgedessen Aufbegehren gegen die familiäre Ordnung. Die Abkömmlinge des Primärnarzißmus – magisches Denken und Allmachtsphantasie – erweisen sich als des Affenkönigs Hauptwaffen und Schutzschild gegen anti-ödipale (kronide) Verfolgung und Kastrationsdrohung.


 

Peter Priskil
Die Träume in Joris-Karl Huysmans' Roman »En Rade«

Abstract:

Das Leben des symbolistischen Schriftstellers Joris-Karl Hysmans (1848 - 1907) weist eine eigentümliche Zäsur auf: Nachdem er mit seinem Roma A Rebours die programmatische Schrift dieser Kunstrichtung verfaßt, die individuelle und künstlerische Freiheit verteidigt hatte, erkrankte er in seinem fünften Lebensjahrzehnt an einem religiösen Wahn, der eine Zurücknahme seines ganzen bisherigen Schaffens darstellte. Kurrz zuvor hatte er in seinem Roman En Rade (1886) drei längere autobiographische Traumpassagen eingeführt – auch dies ein Novum in der europäischen Literatur –, deren psychoanalytischen Deutung die Freilegung der infantilen Wurzeln seiner späteren wahnhaften Erkrankung ermöglicht. Im Zentrum steht die Beobachtung des elterlichen Koitus durch das Kind (die sogenannte "Urszene") mit intensiven Haßgefühlen gegen die väterlichen ödipalen Rivalen, die in dem Wunsch kulminieren diesen zu kastrieren, sowie die sadistische Koitusauffassung (Kastration der Frau durch den Mann im sexuellen Akt). Inzest- und Todeswunsch werden verdrängt und im späteren Wahn durch die antiödipale Reaktionsbildung aus Sexualekel und Kastrationsangst ersetzt. Die als kastriert phantasierte und daher als Gefahr empfundenen sinnliche Frau ("Hexe") bildet die grundlage für seine wahnhafte Misogynie; das Ideal des erkrankten Hymanns ist fortan die asexuelle "rene" Mutter ("Maria").

 

 

EUR 7,50 
25. Jahrgang, Heft 2, November 2007, 104 S., 7 Abb.

ISSN: 0724-7923
ISBN: 978-3-89484-711-1

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